Lust und Last im Ehrenamt

Hoher Einsatz, volles Risiko

 Online-Veranstaltung am 27. Januar 2022, Fachforum 22 auf dem Zukunftsforum Ländliche Entwicklung

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Rund 200 Teilnehmende erlebten eine intensive und kurzweilige Stunde beim Fachforum von DVS, der Bundesarbeitsgemeinschaft der LEADER-Aktionsgruppen (BAG LAG) und der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG), das sich mit den Herausforderungen und Widersprüchen des freiwilligen Engagements beschäftigte.

Das Thema: Bürgerinnen und Bürger, die hochmotiviert und voller Begeisterung Projekte starten. Aber allzu oft stoßen sie auf Hürden, die nicht überwindbar scheinen oder ihnen ein kaum überschaubares Risiko aufbürden. Nicht selten überfordern sich Engagierte selbst oder es wird ihnen der Spaß an ihrem Vorhaben genommen. Diese Ambivalenzen, von den Teilnehmenden in der Veranstaltung genannt, wurden von der Comedy Company, einem Improvisations-Theater, direkt in Aktion umgesetzt.

Die Teilnehmenden waren aktiv beteiligt und konnten ihre Erfahrungen, Meinungen und Forderungen in die „Live-Schalten“ mit der Comedy Company einbringen. Spielerisch stellten sie die reale Situation Engagierter im Dorf dar. Dadurch waren die Herausforderungen des Ehrenamtes zugespitzt, spontan und witzig zu erleben. Drei Expertinnen und Experten reflektierten in der Diskussion die Tücken des bürgerschaftlichen Engagements aus unterschiedlichen Perspektiven.

 

Gemeinschaft und die Freude, im Team zu arbeiten

Freude ist eines der wichtigsten Motive, sich zu engagieren, bestätigte Professorin Dr. Andrea Walter aus Perspektive der Wissenschaft. Andrea Walter ist Zivilgesellschaftsforscherin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen und eine der drei Experten und Expertinnen auf der Veranstaltung.

Der Freude steht die bürokratische Überforderung gegenüber, die die Comedy Company zugespitzt auf den Punkt brachte: „Es ist vollkommen egal, welche Farbe die Tassen haben, aus denen wir trinken!“, eigentlich dürfen in dem Szenario nur die im Bescheid genannten geförderten unifarbenen Tassen auf dem Dorffest genutzt werden. Vor dieser Szene wurden die Teilnehmenden gefragt: Was macht Ihnen im Ehrenamt Spaß? Was frustriert Sie? Antworten, Ideen und Kommentare der Teilnehmenden (PDF 169 KB)

Ehrenamtlich Aktive befassen sich einen guten Teil ihrer Zeit mit Formalien. Zeit, in der sie eigentlich die Tätigkeit ausüben wollen, für die sie brennen, die ihnen Freude macht. „Wir wissen aus der Engagementforschung schon sehr viel. Entscheidend ist jetzt, dass wir unsere Erkenntnisse mehr in die Praxis einbringen!“, sagte Andrea Walter.

Damit Ansprüche an das Engagement und die vorgefundene Wirklichkeit nicht zu weit auseinanderklaffen, gelte es, genau hin zu schauen. Sie weist auf die unterschiedlichen Handlungslogiken von Verwaltung und Engagierten hin, die es bei einer Politik für Engagement besser zu beachten gelte. Wesentliche Voraussetzung für ein besseres Miteinander sei die wechselseitige Offenheit für die Belange der jeweils anderen Seite.

 

Ihr seid nicht alleine! Verwaltung muss Präsenz zeigen

Tim Hartmann, bekennendes Dorfkind, Webdesigner und Blogger (DorfstattStadt), ebenfalls Experte in der Runde, bekräftigt, dass die Kommunen offen gegenüber den Engagierten sein müssten. Nur durch eine professionelle Unterstützung deren strukturelle Überforderung ein Stück weit abgemildert werden könne.

Andrea Walter ergänzt, dass die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteurinnen gut gepflegt werden muss, denn die Vernetzung beginnt damit, miteinander im Gespräch zu sein, aufeinander zuzugehen. Dafür seien kompetente hauptamtliche Ansprechpartner sehr wichtig. Die Unterstützung der Verwaltung kann beispielsweise ganz konkret bei der Fördermittelberatung ansetzen.

 

Kreativtopf für Dörfer nötig

Förderprogramme seien für Projekt freiwillig Engagierter oftmals nicht geeignet, sagte Margitta Kolle, weitere Expertin im Fachforum. Die ehrenamtliche Dorfmoderatorin arbeitet hauptamtlich unter anderem für den Landkreis Göttingen beim Netzwerk Dorfmoderation. Sie plädiert dafür, Fördermittel zu einfacheren Konditionen zu vergeben. Oft seien die großen thematischen Richtlinien nicht geeignet, Engagierte vor Ort zu unterstützen. Sie wünscht sich einen „Topf, der den Dörfern hilft, flexibel ihre jeweils spezifischen Ideen umzusetzen“.

 

Ohne mich läuft doch hier nichts!

„Für die erfahrenen, langjährigen Engagierten ist es oftmals schwierig zu sehen, dass es auch anders geht“, sagt Tim Hartmann zur Problematik der Nachwuchsgewinnung in der freiwilligen Feuerwehr oder anderen Vereinen. Man müsse die Verantwortung mitunter an sich reißen und dann beweisen, dass auch die Jungen kompetent die jeweiligen Funktionen ausfüllen könnten. Bei der Lösung derartiger Konflikte sei vor allem das Gespräch wichtig. Außerdem müsse es bei Bedarf auch Unterstützung von hauptamtlicher Seite geben.

 

Dorfmoderation als Hilfe zur Selbsthilfe

Eine andere Form der Unterstützung ist die Dorfmoderation. Interessierte Menschen können sich in vielen Regionen methodisch fortbilden, um die Belange ihres Dorfes auf diese Weise voran zu bringen. Zwar ist die „Dorfmoderation keine Streitschlichtung“, sagte Margitta Kolle, die Methode helfe aber auf einer anderen Ebene, Haupt- und Ehrenamt zusammen zu denken. Dadurch kann der Überforderung der Engagierten durch zu viele Aufgaben ein Stück weit entgegengewirkt werden. Der Forderung von Tim Hartmann, die Kompetenz der Dorfbewohner zu erhöhen und nicht ausschließlich externes Wissen zu beziehen, kann ebenfalls mit diesem Ansatz begegnet werden.

Die Comedy Company spielt zum Abschluss die Begegnung und Kluft zwischen einem Politiker und einem Engagierten. Input dieser letzten Szene waren die Antworten der Experten und Teilnehmenden auf die Frage: Was muss die Politik ändern?

Antworten, Ideen und Kommentare der Teilnehmenden (PDF 169 KB)

Die Antworten zeigen viele der bereits genannten Argumente: hauptamtliche Unterstützungsstrukturen verbessern, kommunale Präsenz in der Engagementpolitik verbessern, niedrigschwellig Förderangebote anbieten, Engagement nicht als Lückenbüßer missbrauchen und vieles mehr.

Der Spaß war beim Zuschauen und Mitmachen in diesem Fachforum wichtig, um live und in Echtzeit Ideen entstehen zu lassen und vielleicht auch die eine oder andere Sichtweise zu verändern.

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Kontakt

Stefan Kämper
Telefon: 0228 68 45 37 22
stefan.kaemper@ble.de

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